16.5.2024
Interview mit Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI
Die Abwicklungsfrist für den Handel mit US-Wertpapieren verkürzt sich ab dem 28. Mai 2024 von T+2 um einen Tag auf T+1. Kanada und Mexiko werden diese verkürzte Settlementfrist am 27. Mai 2024 einführen. Haben sich Fondsgesellschaften nicht vorbereitet, besteht die Gefahr, dass nach diesem Stichtag US-Wertpapiertransaktionen entweder nicht oder nicht fristgerecht abgewickelt werden können. Dies kann zu Einschränkungen und möglicherweise Strafzahlungen und damit zu zusätzlichen Kosten für die Fonds führen.
Herr Richter, was bedeuten T+2 und T+1 überhaupt? Und was bezweckt die amerikanische Wertpapieraufsicht mit der Umstellung?
T+1 und T+2 beschreiben, wie viele Tage nach dem Handel ein Wertpapier im Depot des Käufers oder der Verkaufserlös auf dem Konto des Verkäufers sein muss. Die USA verkürzen diese Frist nun von zwei auf einen Tag. Ihr Ziel ist es, die Effizienz in der Wertpapierabwicklung zu steigern, das Abwicklungsrisiko zu verringern und die Liquidität im Finanzsystem zu erhöhen.
Die Umstellung bezieht sich nur auf US-Wertpapiere – inwieweit sind deutsche Fondsgesellschaften betroffen?
Deutsche offene Publikums- und Spezialfonds halten im Schnitt 15 Prozent des Fondsvermögens in US-Wertpapieren, in Aktienfonds liegt der Anteil sogar über 30 Prozent. Es sind also alle Fondsgesellschaften betroffen. Sie müssen ihre Geschäftsprozesse umstellen, um Einschränkungen und mögliche Strafzahlungen beim Handel von US-Wertpapieren nach dem 28. Mai zu vermeiden.
Wie herausfordernd ist die Umstellung für die Fondsgesellschaften?
Sie ist sehr aufwendig, denn sie betrifft die gesamte Wertschöpfungskette vom Portfoliomanagement über den Handel, das Middle- und Backoffice bis hin zur Zusammenarbeit mit den Verwahrstellen. Künftig müssen US-Wertpapiergeschäfte bereits am Ende des Handelstags bestätigt und in die Abwicklung überführt werden. Handel, Middle- und Backoffice haben dafür also nur noch wenige Stunden Zeit. Eine besondere Herausforderung ist dabei das Devisen-Liquiditätsmanagement, denn die Transaktionen werden in US-Dollar abgewickelt. Die Käufer von US-Wertpapieren müssen die Mittel künftig einen Tag früher als bisher für die Abwicklung zur Verfügung stellen. Das könnte je nach Zeitzone bedeuten, dass der Devisenmarkt zu einem vorfinanzierenden Markt werden muss. Auch im Wertpapierleihegeschäft wirkt sich die Umstellung aus: Die Entleiher müssen sicherstellen, dass rechtzeitig akzeptable Sicherheiten zur Besicherung der ausgeliehenen Wertpapiere zur Verfügung stehen, und die Verleiher müssen Erhalt und Rückgabe der Sicherheiten innerhalb der verkürzten Abwicklungszeit effizient verwalten.
Was konkret müssen Fondsgesellschaften tun, um sicherzustellen, dass alle Prozesse innerhalb der verkürzten Frist abgeschlossen werden können?
Bei der Anpassung des Geschäftsbetriebes sollten Prozesse und Abwicklungswege weiter automatisiert werden, damit die Transaktionen rund um die Uhr abgewickelt werden können.
Das wird teuer für die europäischen Marktteilnehmer. Dann sollte Europa ebenfalls auf T+1 umstellen?
Ja, unbedingt. EU-Kommissarin Mairead McGuinness hat im Januar 2024 erklärt, dass auch die EU auf T+1 umstellen wird. Schon im vergangenen Jahr hatte die EU-Wertpapierbehörde ESMA eine Konsultation zur Umstellung auf T+1 bzw. T+0 durchgeführt, an der wir uns beteiligt haben. Wir unterstützen die Umstellung auf eine eintägige Abwicklungsfrist. Jedoch fordern wir für die Umsetzung einen angemessenen Zeitraum einschließlich einer Testphase, damit alle Marktteilnehmer ihre Systeme sorgfältig anpassen können. Wichtig ist, dass alle Anlageklassen zeitgleich umgestellt werden.
Sie sagten, die ESMA hat auch eine Verkürzung auf T+0, also die Abwicklung noch am Handelstag, konsultiert. Wie stehen Sie dazu?
Eine Einführung von T+0 lehnen wir ab. Fondsgesellschaften müssen in einer komplexen und fragmentierten Abwicklungslandschaft in der EU mit zahlreichen Marktteilnehmern Wertpapiere abwickeln. Eine Umstellung auf T+0 würde unter anderem eine grundlegende Umgestaltung der vor- und nachbörslichen Prozesse erfordern.
Die Fragen stellte Christiane Lang, Internetredaktion.