4.12.2023
Interview mit Timm Spyra-Sachse, Corporate-Governance-Experte beim deutschen Fondsverband BVI
Der US-Nahrungsmittelhersteller Kraft Heinz zahlt wegen irreführender Kapitalmarktinformationen 450 Millionen Dollar an seine Aktionäre. Diesen Vergleich haben Union Investment und der schwedische Pensionsfonds AP7 als Hauptkläger einer US-Sammelklage im November 2023 erstritten. Das ist ein prominentes Beispiel dafür, wie Fondsgesellschaften als Treuhänder proaktiv Anlegerschutz betreiben und auch auf dem Rechtsweg dazu beitragen, dass Unternehmen ihre Corporate Governance verbessern.
Herr Spyra-Sachse, der aktuelle Fall von Kraft Heinz und Union Investment hat Aufsehen erregt. Haben deutsche Fondsgesellschaften schon in der Vergangenheit Schadenersatz für ihre Anleger eingeklagt?
Ja, und durchaus auch spektakulär. Zum Beispiel hatte Union Investment 2018 ebenfalls als Hauptklägerin einer amerikanischen Sammelklage einen Vergleich über 480 Millionen Dollar mit der US-Bank Wells Fargo erstritten. Mitarbeiter der Bank hatten über Jahre zwei Millionen Phantomkonten eingerichtet und somit Umsatz und Gewinn manipuliert. Die erzielte Vergleichssumme war die bis dahin höchste, die ein deutscher Investor in den USA ausgehandelt hat.
Aber nicht nur in den USA, auch hierzulande setzen sich Fondsgesellschaften vor Gericht für die Rechte ihrer Anleger ein. Zum Beispiel bestellte das Braunschweiger Oberlandesgericht die Deka-Investment 2017 zur Musterklägerin gegen VW wegen der Kursverluste im Zusammenhang mit dem Abgasbetrugsfall. Die Deka fordert 260 Mill. Euro Schadenersatz für ihre Anleger. Ein Urteil steht noch aus.
Sind die Fondsgesellschaften verpflichtet, für ihre Anleger zu klagen oder an Klageverfahren teilzunehmen?
Fondsgesellschaften sind Treuhänder ihrer Anleger. Sie vertreten deren Interessen nicht nur im Rahmen des Portfoliomanagements, sondern auch darüber hinaus. Zum Beispiel stellen sie für die Fonds Steuererstattungsanträge bei Finanzämtern, sie engagieren sich im Rahmen von Hauptversammlungen und im direkten Unternehmensdialog. Eine weitere Variante ist die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegenüber Portfoliounternehmen, wenn diese Investoren nicht, falsch oder irreführend informiert haben und daraus ein Schaden entstanden ist.
Dabei müssen die Fondsgesellschaften jedoch Kosten und Nutzen abwägen, das heißt, die Klagen müssen ausreichende Chancen auf Erfolg haben. Außerdem darf ein für die Fondsgesellschaft positives Urteil nicht wirtschaftlich wertlos sein, zum Beispiel weil dem Prozessgegner die Mittel fehlen, um Schadenersatz zu leisten.
Wodurch sind Sammelklagen in den USA gekennzeichnet?
In den USA sind Sammelklagen, sogenannte Class Actions, anders als in Deutschland gang und gäbe. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass bei einer erfolgreichen Klage nicht nur der Kläger selbst seine Ansprüche durchsetzen kann, sondern dass das Urteil für alle Personen gilt, die in gleicher Weise von demselben Sachverhalt betroffen sind. Die anderen Betroffenen müssen dabei nicht selbst Klage einreichen, dennoch werden ihnen die Ansprüche zugestanden. Sie müssen lediglich nachweisen, dass sie betroffen sind.
Inzwischen werden Investoren verstärkt gebeten, als Hauptkläger („Lead Plaintiff“) – wie Union Investment in den Fällen Kraft Heinz und Wells Fargo – zu agieren. Das ist jedoch mit erheblich höherem Aufwand verbunden. Deshalb ist es Union Investment hoch anzurechnen, dass sie diese Rolle übernommen hat. Denn die treuhänderischen Pflichten erfordern nicht, dass die Fondsgesellschaften als Hauptkläger auftreten. Das ist freiwillig.
Funktionieren Sammelklagen in Deutschland ähnlich?
Nein, allgemeine Sammelklagen in Form der US Class Actions gibt es im deutschen Recht nicht. Hier muss jeder Kläger grundsätzlich noch selbst klagen. In den letzten Jahren hat sich aber einiges getan. In Deutschland gibt es mittlerweile mehrere Klagemodelle, die eine kollektive Rechtsdurchsetzung erleichtern sollen. Das sind zum Beispiel das Kapitalanleger-Musterverfahren, die sogenannte Musterfeststellungsklage und die erst jüngst eingeführte Abhilfeklage, mit der Verbraucherverbände Ansprüche für eine Vielzahl von Verbraucher und kleine Unternehmen geltend machen können. Es bleibt also spannend zu sehen, wie sich die kollektive Rechtsdurchsetzung in Deutschland in der Praxis weiter entwickeln wird.
Die Fragen stellte Christiane Lang, Internetredaktion.